Die Saison 2021 ist nicht des Seglers Freund! Man merkt dieses Jahr doch schnell: „Die Luf(s)t ist raus“. Und vielen geht es ähnlich. Vielleicht ist es auch der Corona Blues, der noch in den Knochen steckt. Verbunden mit ehrgeizigen Plänen, die dann schnell von einem Tief zum anderen weggepustet werden.
Aber wieso den Kopf hängen lassen? Sind wir einfach zu verwöhnt worden von dem Sommer der vergangenen Jahre? Es dürften wohl noch einige Gründe mehr eine Rolle spielen. Über Monate war man Restriktionen ausgesetzt, unser aller Alltag ist aus dem Ruder gelaufen. Doch endlich, Hoffnung und Vorfreude wieder ein Stück Freiheit und Normalität zurückzugewinnen. Am liebsten auf dem Wasser. Nun weht einem der Wind die noch so junge aufkeimende Hoffnung einfach davon. Und noch was: Es ist einfach verdammt anstrengend! Zusammenfassend waren die besten Tage eigentlich an Land. Mit Blick auf das Wasser. Wieso tut man sich das eigentlich an?! Das muss man einfach selbst erfahren. Noch einen auf die Nase? Ja bitte!
Blick zurück: Höllviken, 27.08.
Verdammte Axt. Nun liegen wir wieder einige Tage fest, es öffnet sich einfach kein geeigneter Windkorridor für eine Weiterreise. OK, mittlerweile sind wir gerne einige Tage vor Ort um in Ruhe die Gegend zu erkunden. Vor allem sind es auch die Kontakte, die sich dann erst ergeben. Egal ob es der Stegnachbar ist oder eine Crew, der man die Festmacher annimmt. Irgendwie kommt man doch immer zu geselligen Abenden, ja sogar zukünftigen Freundschaften. Aber genug ist genug.
Der Wind brist ordentlich aus Nord, es ist zudem verdammt nass. Im Hafen steht so ungünstiger Schwell, dass wir nachts kaum ein Auge zubekommen. Wir haben die Nase gestrichen voll! Überlegen schon einfach mal nach Hause zu fahren. Fähre oder Flughafen keine 30min entfernt. Doch morgen, da könnten wir los. Bevor sich das Fenster wieder für einige Tage schließt.
4:40 Uhr in der Früh klingelt der Wecker. Man hätte sich den Alarm echt sparen können. Wir haben wieder nicht geschlafen. Es regnet und es ist noch dunkel. Da jetzt raus? Ja! Komm. Los. 12 Stunden Zähne zusammenbeißen. Das wird schon. Also Leinen los.
Pünktlich um 6 Uhr öffnet die Brücke im Falsterbokanal, vor uns direkter Kurs liegt das Ziel, Rügen / Hiddensee. Wir sind bis auf ein anderes Schiff allein und direkt hinter der Mole können wir die Segel setzen. Stabile 15kt von hinten, prima! Nicht weit liegt Trelleborg, die Fähren sieht man im Nieselregen sehr schlecht, das AIS zeigt einiges an Verkehr an. Aus dem Dunst zeichnet sich ein Segler ab. Aus den USA! Schon der zweite dem wir begegnen. Die haben es bis hier geschafft! Wir sind noch voller Elan.
Gegen Mittag setzt Müdigkeit ein, wir wechseln uns stündlich ab, um etwas Kraft zu tanken. Dabei viel Verkehr in der Gegend, schlecht zu sehen, volle Konzentration. Obwohl wir vor dem Wind laufen, schaukelt uns eine ätzende Hackwelle nur so durch. Es zerrt an den Nerven. Das Ölzeug verhindert, dass wir bis auf die Knochen nass werden, dennoch. Schön ist anders!
Bei uns kommen Zweifel auf. Die Stimmung kippt. Was ein Scheiß! Segeln. Pah. Nie wieder! Jeder Schlag hätte bisher durchaus besser laufen können. Genau. Einfach mal laufen lassen. Diese Saison ein Fremdwort.
Wir erreichen deutsche Hoheitsgewässer, sind am Ende unserer Kräfte, ETA noch vier Stunden. Es zieht sich unaufhaltsam in die Länge. Kein Land in Sicht, die Wolken hängen tief und schwer. Es wäre nicht so schlimm, wenn diese verfluchte Welle nicht wäre!
Zeitweise will man einfach nur noch über Bord gehen, damit man endlich seine Ruhe hat. Aber es hilft nichts. Mal rechts ran oder den Stopp Knopf drücken geht nicht. Es ist wirklich eine Challenge.
Wir versuchen uns gegenseitig etwas bei Laune zu halten: Es ist wichtig, um nicht komplett die Nerven zu verlieren. Wenn wir am Ziel sind, hängen wir sofort ein Verkaufsschild an das Boot und lassen uns einfach mal 14 Tage Getränke und Speisen servieren, duschen solange wir wollen, haben fließend Wasser, sogar warm! Doch bis dahin sind es noch 3 Stunden und 50 Minuten.
Wir halsen vor dem Hiddensee Fahrwasser, erst an der Ansteuerungstonne taucht langsam der Dornbusch an der Steuerbordseite auf. Die Erleichterung kann man nicht in Worte fassen. Von einer Sekunde auf die andere jagen die Glücksgefühle alle Kraftlosigkeit und Lethargie weg.
Unser Heimatrevier hat uns wieder und es ist so verdammt schön hier! Selbst bei dem Wetter, leuchten die Sandbänke wie Edelsteine. Möwen begleiten uns, Kreisen um den Mast, als hätten sie auf uns gewartet. Es ist totenstill. In der Landabdeckung nimmt der Wellengang schlagartig ab, wir lassen uns nur noch vom Groß treiben. Bei schlechter Sicht fahren wir vor dem Wind das Hiddensee Fahrwasser herunter. Kaum zu glauben. Nach der Tortur ist es ein Klacks. Bis auf Einheimische sind wir allein. Kloster und Vitte lassen wir querab, peilen Schaprode an. Kurz vor der Einfahrt dreht der Wind noch einmal auf, der Regen benebelt die Sehhilfe. Na klar! Die sonst so zielgerichteten Fähren haben Erbarmen und machen Platz.
Die Einfahrt in den Hafen verlangt noch einmal volle Konzentration. Eine schmale Rinne steht quer zum Schaproder Strom, rechts stehen spitze Steine, die linke Seite neigt zur Versandung, vor allem bei N/O Lage wie heute. Durch die vorgelagerte Insel Öhe steht an den Steigern auch heute gut 2kt Strömung. Es geht daher noch. Die SKS und Chartercrews der Region laufen Schaprode daher gerne aus Übungszwecken an. Vor allem das wenden im schmalen Durchfluss ist eine echte Herausforderung. Es ist mittlerweile 20 Uhr und dämmerig. Endlich Land unter den Füßen. Nach 14 Stunden Gefühlsmarathon! Wir trinken das Anlegerbier bei strömendem Regen im Cockpit. Wir merken wie die Anspannung abfällt, es wird richtig warm ums Herz. Wir sind sowas von happy. Nubia hat einen tollen Job gemacht!
Segeln! Genau deshalb wird es zu einer Sucht. Wir kennen keine anderen Lebenssituation, die so schnell von einem extremen Tief von solch positiver Energie in so kurzer Zeit gefolgt werden. Mehr über sich selbst kann man nicht lernen und erfahren. Dabei hört es nie auf. Wir könnten wieder los!
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